Bruno Griesel und das „Rococo“
Die Kunst ist Thema der Kunst seit jeher! Michelangelo kopierte antike Skulpturen, Rubens paraphrasierte Tizian, Magritte ironisierte Manet. Mit wahrer Obsession wiederholte Picasso Bilder von Cranach, während Arnulf Rainer Reproduktionen nach Vincent van Gogh obsessiv übermalte. Bei einer Aktion mit Farbe und Pinsel machte er sich auch gleich noch über die Bilder von Kollegen her. Die zahllosen Nachbilder der Kunstgeschichte verraten viel über Konzepte und Intentionen der Urheber: Peter Paul Rubens etwa versuchte sich die Manier Tizians anzueignen, den er bewunderte, ja verehrte. Arnulf Rainer dagegen attackierte die künstlerischen Artefakte, die Übermalungen zielen auf die Auslöschung der Vorbilder. Gerade Künstler des 20. Jahrhunderts waren in ihren Aneignungen von „Willkür, Aggression und Parodie“ nicht frei; Arnulf Rainer ist mit seinen Attacken beileibe kein Einzelfall!
Wie zahllose Maler vor ihm, so setzte sich auch Bruno Griesel intensiv mit der Historie auseinander – aber bei ihm ist von Parodie oder Aggression nichts zu spüren: Ganz im Gegenteil. Voller Neugier wandte er sich berühmten Kollegen der Vergangenheit zu, eine Art von Empathie scheint ihn bei seinen bildnerischen Aktualisierungen anzutreiben. Seine Varianten und Veränderungen bekannter Kunstwerke, seine Bildparaphrasen sind jedoch keineswegs ein harmloses Spiel: Der Rückbezug auf die Kunstgeschichte wurzelt vielmehr in einer sehr persönlichen Leidensgeschichte. Zentral in seiner Verwandlungskunst ist die intensive Hommage an das 18. Jahrhundert. „Rococo“ nennt er sein Projekt, das er 2005 begonnen hat – und das inzwischen zahlreiche Bilder umfasst.
Das `Entrée´ des „Rococo“- Projektes von Bruno Griesel bildet der `Barberinische Faun´, jene Skulptur eines berauscht schlafenden Satyrs, die als ein Hauptwerk der griechischen Kunst hellenistischer Zeit gilt. Bereits in der Antike nach Rom gebracht, diente der Satyr als Brunnenfigur in einem römischen Villengarten. Im frühen 17. Jahrhundert in der Nähe der Engelsburg ausgegraben, ließ sie der Barberini-Papst Urban VIII. im Familienpalast auf dem Quirinal aufstellen. König Ludwig I. von Bayern gelang es 1820 die berühmte Skulptur zu erwerben. Seit 1830 ist der `Barberinische Faun´ einer der großen Anziehungspunkte der Münchner Glyptothek! Bruno Griesel hat die antike Skulptur variiert und deshalb in sein „Rococo“- Projekt aufgenommen, weil er sich dabei auf eine Kopie des großen französischen Bildhauers des 18. Jahrhunderts – Edme Bouchardon (1698-1762) – bezieht, die sich seit 1892 im Louvre in Paris befindet. Es handelt sich bei Griesels Arbeit also um die Kopie einer Kopie. Die üppig quellenden Ranken außerhalb des Rahmens links sollen den „Rococo“- Bezug verstärken.
Den umfangreichsten Teil seines Projektes bilden die Ballerinen, anmutige Figuren, denen er berühmte Pferde, Hirsche und Einhörner der Kunstgeschichte zitathaft zugesellt. Griesel deutet mit den Tänzerinnen an, daß das Ballett im Frankreich des 18. Jahrhunderts seine Blütezeit hatte, bevor der Spitzentanz in der Romantik einen neuen Höhepunkt erlebte. Im Ballett hat das 18. Jahrhundert ein anschauliches Symbol des Künstlichen gefunden, das im Natürlichen sein unverzichtbares Pendant hatte. Im Gemälde `Herbst´ zeigt Bruno Griesel diese Doppelnatur des „Schnörkel- und Muschelwesens“ (Goethe) des 18. Jahrhunderts – eine berühmte Porzellanfigur in Watteau´scher Manier. Sie ist preziös und will zugleich anmutige Einfachheit verkörpern. Die von Michel Victor Acier geschaffene Gärtnergruppe „Gärtnerin und Knabe“ wird von Griesel fragmentiert und reizvoll facettiert. Griesel spielt damit auf das Transitorische an, auf die Ästhetik der Übergänge, die für die Kunst des „Rococo“ konstitutiv ist. Dadurch erhält der Stil das Fließende und Spannungsvolle, deren Grenzen auf eine höchst reizvolle Art überspielt werden.
In Griesels Projekt nimmt daher auch Jean Antoine Watteau einen besonderen Platz ein: Der Schöpfer des Traumreichs von Kythera repräsentiert wie kein zweiter Künstler des 18. Jahrhunderts die entgrenzende Spielwelt des „Rococo“. Die Figuren Watteaus sind allesamt dem Bereich des Theaters entsprungen. Bruno Griesels Lieblingsgestalt ist Watteaus `Gilles´. In seinem Pierrotkostüm entstammt er zwar der Commedia dell`arte, seine Erscheinung jedoch ist frei von jeder burlesken Clownerie. Griesel läßt seinen `Gilles´ vielmehr in kunstvoller Manier posieren. Der künstliche Gesichtsausdruck und die balletthafte Gestik machen gerade an dieser Figur deutlich, daß da einer eine Rolle spielt, daß hier Verwandlungen durchgespielt werden, performative Möglichkeiten des Individuums!
Die Kunst des 18. Jahrhunderts ist für Griesel von pastoralen und galanten Szenen bestimmt, es ist das Jahrhundert des arkadischen Landlebens und der erotischen Traumwelt. Die Bühne des „Rococo“ ist bevölkert von Akteuren, die Rollen spielen, voller Poesie und Unverbindlichkeit. Das Lebensgefühl ist schwankend, das Gleichgewicht labil. Bruno Griesel hat sich voller Faszination in diese fremde künstlerische Welt eingefühlt, er hat sich in schwerer Zeit von ihr verzaubern und forttragen lassen.
Dr. Richard Hüttel Leiter Graphische Sammlung Museum der bildenden Künste Leipzig